Von großen Schwingen getragen

Impuls #1 zur 40-Tage-Zeit // Zeit zu fliegen

Auch zum Hören:

Impuls #1: “Von großen Schwingen getragen” von Jürgen Maubach (MP3)

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Ich beobachte sie so gerne, unsere Raben. Sie hüpfen neugierig auf dem Gehweg herum, picken mit dem Schnabel hierhin und dahin. Immer aufmerksam im Blick, was gerade um sie herum passiert. Und macht der Autoverkehr mal eine kleine Pause, hüpfen sie in aller Seelenruhe auf die Fahrbahn, weil sie dort etwas entdeckt haben, was sie reizt. Und kommt das nächste Auto näher, zwei kleine Hüpfer, die Flügel ausbreiten, drei, vier Flügelschläge und sie schwingen sich auf in die nächste Baumkrone. Geduldig warten sie dort, bis sich die nächste Gelegenheit bietet, wieder hinab zu segeln. Und das Spiel beginnt von vorne.

Was für eine wunderbare Vorstellung, es gäbe auch für mich solche Schwingen, die mich mühelos aus jeder Gefahr heraustragen. Ja, das wär’s doch.

Wir leben in einer Zeit, in der die Probleme manchmal erdrückend groß scheinen, da wünsche ich mir tatsächlich manchmal Schwingen, die mich hier heraustragen. Ich denke an den Krieg in der Ukraine, die Gewaltherrschaft des IS, das TTIP-Abkommen, ein Europa, das sich abschottet, und viele andere Beispiele könnte ich noch nennen.

Dazu kommt das Gefühl, dass der Stress und der Druck im täglichen Leben ständig zunehmen. Und ich wünschte mir Schwingen, die mich aus den Zwängen des Lebens forttragen, auf diesen Ast oben im Baum, wo ich Abstand bekomme, ausruhen kann, zum Nachdenken komme:

Lebe ich eigentlich mein Leben?
Habe ich noch guten Kontakt zu meinen Wünschen und Sehnsüchten?

Bei Tobias Faix habe ich einen Satz gefunden, der mich sehr nachdenken ließ:

“In jedem Menschen liegt tief verborgen ein Lebensthema, eine besondere Begabung, eine Leidenschaft, die keine Ruhe gibt, bis sie entdeckt und gelebt wird. Oft verschüttet und begraben unter Alltäglichkeiten, manchmal fast erstickt unter einem dicken Teppich aus Stress und Banalitäten, bereitet uns dieses Thema Unbehagen. Es regt sich und rebelliert:[…] Dein Leben ist mehr als du bisher daraus gemacht hast!”
(Tobias Faix, Logbuch Berufung; Verlag der Francke-Buchhandlung GmbH, 2013)

Ich musste es zweimal hören, um zu verstehen: Gemeint ist hier kein weiterer Anspruch von außen, sondern diese Stimme in mir, die mich zu meinen Möglichkeiten führen will. Das muss gar nichts Großes und Außergewöhnliches sein. Mich faszinieren Menschen, die ihr Ding in einem relativ “normalen Setting” verfolgen und nach und nach merken, wie sich ihr Lebensthema dort hindurchzieht.

Ich weiß nicht, ob ihr das auch kennt, aber es gibt bestimmte Situationen, da werde ich innerlich unruhig, da packt mich manchmal der heilige Zorn, da kann ich nicht schweigen, da muss ich mich engagieren. Ja, das sind so Augenblicke, da weiß ich, wie und wofür ich leben will.

Es hat für mich immer etwas mit einer Kraft zu tun, die uns dann geschenkt wird. Wir erleben, wie sich vieles fügt, wie Schwierigkeiten überwunden werden und gegen alle Widerstände die Hoffnung in unserer Welt gestärkt wird. In solchen Augenblicken habe ich das Gefühl, ganz bei mir angekommen zu sein. Ich spüre die großen Schwingen, die mich tragen, ich bin beflügelt.

Die Israeliten in der Bibel hatten auch so eine beflügelnde Erfahrung gemacht. Gott hatte sie durch Mose aus der Sklaverei in Ägypten befreit und jetzt waren sie auf dem Weg in ihr erträumtes Leben. Die Bibel nennt es das “gelobte Land”, das Gott ihnen als Ziel der Reise versprochen hatte. Aber anstatt dieses Ziel schnell zu erreichen, irren sie 40 Jahre durch die Wüste.

Manchmal denke ich, es ist ein wunderbares Bild für meinen eigenen Weg zu meinem Lebentraum. Mal glaube ich erst am Anfang vor dem entscheidenden Schritt zu stehen, loszugehen, mal weiß ich mich schon ein gutes Stück auf dem Weg. Egal, wo ich heute stehe, der Weg dahin ist im Bild der Bibel ein Weg durch die Wüste. Er ist oft lang, anstrengend und unwegsam. Mal gibt es Durststrecken, mal sind wir in einer Oase und das Wasser sprudelt reichlich. Wir haben schon so manche gute Erfahrung auf unserem Weg gemacht. Aber manchmal zweifele ich selber, noch auf dem richtigen Weg zu sein.

Komme ich bei all den Anforderungen nicht zu kurz?
Bin ich das, was ich arbeite oder leiste?
Lassen sich meine Träume in meinen Alltag integrieren?
Ist meine Hoffnung zu groß, zu idealistisch?
Woher nehme ich die Kraft durchzuhalten?

Zeit für einen Rastplatz, für einen Blick zurück auf die gemachten Erfahrungen. Zeit für eine Vergewisserung. Die Israeliten rasten auf ihrem Weg durch die Wüste am Berg Horeb, dem Gottesberg. Hier hoffen sie, Gott zu begegnen, um neue Kraft zu bekommen. Mose geht hinauf, damit Gott zu ihm reden kann und hört dann:

“Ihr habt gesehen, was ich mit den Ägyptern getan habe und wie ich euch getragen habe auf Adlerflügeln und euch zu mir gebracht.” (Bibel nach Martin Luther, 2. Mose/Exodus 19,4)

Bevor du jetzt weitergehst, laden wir dich ein, suche dir einen Rastplatz.

Nimm dir ein Blatt und male und/oder schreibe, was dein Traum vom Leben ist.

Und jetzt überlege: Welche Erfahrungen habe ich auf dem Weg dorthin bisher gemacht?
Wann habe ich diese Kraft in meinem Leben gespürt, die mich beflügelt?
Wie ist es, wenn mein Lebenthema zu klingen kommt?
Was hat diese Kraft für mich mit Gott zu tun?
Kannst du das Bibelwort als Stimme Gottes für dich hören: Du hast gesehen, was ich bisher in deinem Leben getan habe und wie ich dich getragen habe auf Adlerflügeln und dich zu mir gebracht.

Ich bin kein Rabe, aber die Vorstellung, dass mich Gottes Schwingen streckenweise durch mein Leben tragen, schenkt mir etwas von der Leichtigkeit und Neugier, meinen Weg, mein Lebensthema weiterzuverfolgen. Ich lade dich ein, es in der 40-Tage-Zeit zu versuchen.

Jürgen Maubach, Zeitfenster Aachen

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